Bernd Schulte: Rede auf dem Neujahrsempfang der CDU Herscheid

 

 


Unsere Region im demografischen Wandel - Herausforderungen und Aufgabe

Anrede,

die Bevölkerungsentwicklung in den nordrhein-westfälischen Städten und Kreisen hat in der öffentlichen Wahrnehmung einen steigenden Stellenwert, weil jedem immer deutlicher wird, welche gravierende Einflüsse die Veränderungen der Geburtenzahlen und der Altersstruktur auf die Entwicklung aller sozialen und wirtschaftlichen Lebensbereiche haben. Neben dem Schlagwort "wirtschaftlicher Strukturwandel" rangiert der demografische Strukturwandel gleichwertig und entwickelt sich zur größten Herausforderung des 21. Jahrhunderts.

Die Politik hat lange verdrängt, dass durch demografischen Wandel die Alterspyramide umgekehrt wird. 2040 wird 1/3 der NRW-Bevölkerung über 60 Jahre alt sein. Als Konrad Adenauer 1957 die dynamische Rente, den Generationenvertrag einführte, finanzierten neun Beitragszahler einen Rentner. Heute beläuft sich das Verhältnis auf 3,5 zu 1 und in einigen Jahren wird es 2,5 zu 1 sein. Dies macht die Dimension der Problematik für die sozialen Sicherungssysteme deutlich, die heute allerdings nicht im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.

In Nordrhein-Westfalen wird nach der Prognose des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik (LDS) der Bevölkerungsanstieg bis 2006 anhalten und einen Höchststand von 18,08 Millionen erreichen. Bis 2020 sinkt die Zahl auf 17,95 und wird bis 2040 auf 16,86 Millionen zurückgehen. Das entspricht dem Stand des Jahres 1988.

Die Entwicklung wird regional unterschiedlich verlaufen. Die 23 kreisfreien Städte verlieren bis 2020 7,5 % ihrer Bevölkerung, die 31 Kreise werden per Saldo 3,6 % hinzugewinnen. Essen verliert bis 2020 64.000 Einwohner (10,8 %). Spitzenreiter mit einem prozentualen Verlust von 16,3 % (-32.900 Einwohner) ist das märkische Oberzentrum Hagen. Folglich machen den Trend schrumpfende Großstädte und wachsende Kreise, somit eine räumliche Umschichtung der Bevölkerung auf der Grundlage sinkender Zahlen aus.

Wir werden weniger, älter und - gemessen an der Sozial-, Haushalts- und Nationalitätenstruktur - bunter. Insgesamt ist der Trend nicht korrigierbar, weder über ein erhöhtes Kindergeld noch über eine unbegrenzte Öffnung der Zuwanderung. Dennoch: örtliche oder regionale Bevölkerungsprognosen sind nur die linearen Verlängerungen des Trends auf der Basis des Status quo. Weil Demografie aber das Produkt vielfältiger gesellschaftlicher Probleme ist, sollte keine Kommune eine solche Prognose als Schicksal hinnehmen. Gezieltes Anwerben junger Familien durch Standortanreize im Bereich von Arbeit, Wohnen und Bildung kann die jeweils örtliche Situation verbessern, ist aber keine Lösung für das gesamte Land.

Auf 10 Deutsche kommen derzeit sechs Kinder und drei Enkel. Eine nachhaltige Veränderung dieser Tatsache wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Doch durch zielorientierte kommunale Initiativen auf dem Feld der Familienförderung im weitesten Sinne kann die Entwicklung auch auf Kommunalebene erheblich beeinflusst werden. Das Schrumpfen der Bevölkerung in den Ballungskernen und das weitere Wachstum der ländlich strukturierten Umlandkommunen haben erheblich Auswirkungen. Immer häufiger stehen unattraktive Mietwohnungsbestände aus den 60-er und 70-er Jahren leer. Das gilt aufgrund der dramatischen Entwicklung von Konkursen auch für Industrie- und Gewerbeimmobilien. Während in den Großstädten die ausgebaute Infrastruktur immer weniger ausgelastet wird, sind im ländlichen Raum erhebliche Anstrengungen notwendig, um die Infrastruktur dem weiteren Bevölkerungswachstum anzupassen: auf der einen Seite kostenträchtiger Aufbau, auf der anderen teurer Rückbau.

In den Städten und Kreisen ist die Geburten- und Sterbeentwicklung fast gleich. In den Kreisen werden jedoch die Sterbeüberschüsse durch Wanderungsgewinne kompensiert. Der Rückgang der Bevölkerung ist hauptsächlich durch geringe Geburtenzahlen bedingt, durchschnittlich werden 1,4 Kinder in jede Familie geboren, für den Erhalt wären jedoch 2,1 Kinder erforderlich. Heute fehlt die zweite Generation von Kindern, die Nachkommen derjenigen, die bereits in den 70-er Jahren nicht geboren wurden. Die für die Entwicklung der Geburtenzahl wichtigen Altersgruppen der 18 bis 25-jährigen Frauen reduziert sich gegenüber 1999 um ein Drittel. Damit ist der lang anhaltende Rückgang der Geburtenzahlen vorprogrammiert. Dieser Faktor des demografischen Alterungsprozesses wird verstärkt durch die wachsende Lebenserwartung: jedes heute geborene Mädchen hat die reale Chance, 102 Jahre alt zu werden.

Wenn junge Familien als Zukunftsträger die Städte verlassen, bleiben sozial Schwache und Alte zurück. Hierbei geht es nicht um eine Stigmatisierung dieser Menschen, sondern um nüchterne Analyse und Bewertung. Am 8. Juli 2004 gab es in der Rheinischen Post einen Artikel "Das Revier vergreist". Es wird berichtet, dass das Ruhrgebiet die insgesamt zu erwartende demografische Entwicklung um 20 Jahre vorweg nehme. Aus dem Alterungsprozess erfolgt die Notwendigkeit, die Infrastruktur den veränderten Märkten anzupassen. Es sind nicht nur die typischen stationären Pflegeangebote, sondern vor allem Produkte wie das Wohnen mit Service und die bauliche Veränderung von Wohnungen im Sinne von Barrierefreiheit.

Neben der Alterung wird es in den Großstädten auch eine zunehmende Polarisierung innerhalb der Bevölkerung geben, eine soziale und ethnische Entmischung auf Stadtteilebene. Danach wohnen die meisten Ausländer dort, wo die meisten armen Inländer wohnen. Hohe Ausländerquoten und hohe Anteile von Transferleistungsempfängern treffen aufeinander. Die Problemlagen erhöhen sich durch den anhaltenden Wegzug sozial stabilisierender Gruppen. Heranwachsende empfinden die Arbeitslosigkeit als normal und in den Schulen leidet die Bildungsqualität unter dem hohen Anteil nicht deutscher Kinder und deren fehlender Sprachqualifikation.

In der Gesamtentwicklung des Landes stellt sich die Perspektive für Südwestfalen recht unterschiedlich dar. Der Kreis Soest erwartet den höchsten Einwohnerzuwachs mit 6,5 % gefolgt vom Kreis Olpe mit 2,9 %. Der Märkische Kreis rechnet mit dem geringsten Bevölkerungsverlust von 1,7 % gefolgt vom Hochsauerlandkreis mit 3,6 % und dem Kreis Siegen-Wittgenstein mit 5,5 %.

Professor Klemmer hat im Auftrag der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) ein Gutachten erarbeitet, das unter anderem die Bevölkerungsprognose für den Märkischen Kreis auf die 15 kreisangehörigen Städte und Gemeinden herunter bricht. Das Ergebnis zeigt, dass - wie auch auf Landesebene - die Entwicklung von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich verläuft. Eine genaue Analyse und Bewertung ist notwendig, um örtliche Strategien für das künftige kommunalpolitische Handeln zu entwickeln. Künftige Entwicklungen einer Kommune sind am meisten von Wanderungsbewegungen bestimmt: Wohn-, Arbeitsmarkt-, Schul- und Freizeitqualität entscheiden über Zuwanderungsgewinne und Abwanderungsverluste.

Herscheid liegt zwischen zwei Städten mit beachtlicher Arbeitsmarktzentralität, Lüdenscheid und Plettenberg, bietet individuelle Wohnformen in einer intakten sauerländischen Kulturlandschaft und wird bis 2020 ein positives Wachstum erzielen, das allerdings unter 5 % liegt. Die Zahl der Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 20 Jahren wird um 26 % schrumpfen. Dies wird eine schmerzhafte Anpassungsplanung auf dem Sektor von Kindergärten und Schulen erfordern. Auch die Zahl der 30- bis 45-jährigen, die sich durch hohe Erwerbstätigkeit, Steuerproduktivität und Neigung zur Eigentumsbildung auszeichnet, wird um 30 % sinken. Der Trend zur altersstrukturellen Erosion schlägt voll durch. Die Zahl der 45- bis 65-jährigen steigt um 20 %, die Rentnergeneration der 65- bis 80-jährigen steigt um 10 % und die Gruppe 80 Plus kann maximal bis zu 90 % zunehmen.

Im Fazit ist festzustellen, dass die Städte und Gemeinden im Märkischen Kreis in den nächsten Jahren einen harten Wettbewerb nicht nur um Arbeitsplätze, sondern auch um Einwohner und junge Familien speziell führen werden. Wettbewerb ist nie schädlich, muss aber auch in Zukunft mit dem Gedanken interkommunaler Kooperation vereinbar sein. Die Abnahme der Zahl von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in allen Bereichen der Betreuung, Beschulung und Ausbildung würde einen oftmals schmerzhaften Anpassungsprozess erfordern, wenn keine kompensatorischen Zuzüge erfolgen. Herscheid darf als Schulstandort im Bereich der Sekundarstufe I nicht gefährdet werden. Um den hohen Standard der Erwerbstätigkeit auch für Frauen zu sichern, sind ganztägliche Betreuungsangebote in Kindergarten und Schulen Gegenstand von Bedarfsprüfungen sein.

Die deutliche Zunahme der Zahl der Senioren bedingt Wohnraummodernisierung im Sinne von Barrierefreiheit mit flankierenden ambulanten Angeboten, in deren Rahmen Ehrenamtlichkeit eine große Rolle spielen wird. Die Nachfrage nach Pflege wird steigen. Die den Senioren zu eigene überdurchschnittliche Kaufkraft muss auch durch entsprechende Angebote am Ort gebunden werden. Die Gemeinde muss als Wohnplatz für junge Familien attraktiv bleiben. Im Interesse eines guten nachbarschaftlichen Zusammenlebens von Deutschen und Nichtdeutschen ist eine erhebliche Verstärkung der Integrationsarbeit erforderlich. Diese Aufgaben erfordern einen intelligenten Einsatz und eine entsprechende Konzentration von öffentlichem und privatem Geld. Die Gemeinde braucht eine Zielplanung, welche die Prioritäten für ihr Handeln bestimmt und mit der Finanzplanung abgleicht.

 

Senioren Union Herscheid
 
Stein am Ortseingang Stein am Ortseingang